Wir alle tun es - und zwar jeden Tag mehrmals. Lügen sind Teil unseres Alltags. Aber wieso lügen wir denn eigentlich? Und welche Anzeichen gibt es, anhand derer man Lügner entlarven kann? Wir haben mit Körpersprachen-Experte Dirk Eilert darüber gesprochen.
Herr Eilert, sind Menschen die einzigen Wesen, die lügen?
Nein. Affenforscher haben zum Beispiel Grünmeerkatzen beobachtet. Die rufen mit Stimmlauten „Achtung, Löwe!“, obwohl weit und breit kein Löwe zu sehen ist. Mit diesem Ruf wollten die Affen einfach ihre Artgenossen aufschrecken, die vielleicht gerade eine Banane entdeckt hatten, um sich die dann selbst zu schnappen. In der Tierforschung gibt es für diese Art des Lügens auch einen Begriff: Taktische Täuschung.
Was sind denn die Gründe, wieso wir Menschen lügen?
Es gibt zwei grundlegende Motivationen. Zum einen wollen wir den Eindruck, den andere von uns haben, beeinflussen. Dann übertreiben wir zum Beispiel bei unseren sportlichen Leistungen – etwa beim ersten Date.
Und zum anderen?
Da lügen wir, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden – oder, um uns selbst und andere zu schützen. Ein klassisches Beispiel wäre der versehentliche Pups im Restaurant, den man auf seinen vierbeinigen Begleiter schiebt.
Sind wir also alle notorische Lügner?
Das kann man so sagen. Interessant ist: Besonders oft lügen wir, wenn wir Menschen neu kennenlernen. In zehn Minuten Gesprächszeit lügen wir dann durchschnittlich zweimal. Dann macht man vielleicht ein Kompliment und übertreibt ein bisschen.
Mithilfe der Körpersprache unseres Gegenübers können wir Lügen enttarnen, sagen Sie. Worauf müssen wir dabei denn achten?
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass es die berühmte Nase des Pinocchio nicht gibt. Es gibt nicht dieses eine Signal, was uns eine Lüge verlässlich anzeigen würde. Wenn wir Lügen treffsicher von der Wahrheit unterscheiden wollen, müssen wir in einem Gespräch nach Momenten suchen, in dem sich mehrere potenzielle Täuschungssignale sammeln.
Dabei gilt die 3-2-Regel: Treten mindestens drei Signale auf mindestens zwei nonverbalen Kanälen – wie Mimik und Gestik – auf, zeigt das an, dass wir bei dem Thema nachforschen sollten.
Wie sähe das dann im konkreten Gespräch aus?
Gehen wir doch ins Thema Erziehung. Sagen wir, wir fragen unser Kind, wie es sich vor der Klassenarbeit, die am nächsten Tag ansteht, fühlt. Unser Kind schaut uns an und sagt: „Großartig“ – und kratzt sich dabei im Gesicht.
Das wäre dann ein Signal?
Ja, das ist ein Hinweis darauf, dass unser Kind Stress haben könnte. Es könnte allerdings auch einfach nur jucken. Wenn unser Kind sich aber im Gesicht kratzt, die Blinzelrate hochgeht und die Körperbewegungen unruhig werden – dann habe ich drei Signale, die alle auf Stress hinweisen.
Lügen wir auch deswegen so oft, weil wir uns mit anderen vergleichen?
Definitiv. Dazu tragen auch die sozialen Medien bei. Das ist ja eigentlich der Bereich, in dem am häufigsten geflunkert wird. Denken wir nur an die ganzen Instagram-Profile, auf denen das eigene Leben meistens geschönt wird.
Können wir Lügner auch anhand ihrer Stimme entlarven?
In der Tat ist die Stimme einer von acht Kanälen, die ich unterscheide. Was bei der Stimme am besten untersucht ist, ist die Tonhöhe. Die Stimme wird leicht höher, wenn jemand lügt. Das liegt daran, dass wir uns konzentrieren müssen oder Stress bekommen, wenn wir lügen. Aber auch auf den Inhalt lohnt es sich zu achten: Wortwiederholungen sind ein Zeichen dafür, dass sich jemand mental konzentriert – wenn er zum Beispiel die Frage wiederholt. Wenn es keine anderen Erklärungen dafür gibt, ist eine erhöhte Konzentration immer ein Hinweis darauf, dass möglicherweise eine Täuschung vorliegt.
Auch Prominente lügen ja oft und gerne. Ein Beispiel ist Ex-Bayern-Trainer Pep Guardiola, der in seiner letzten Saison beim FC Bayern von einem Weggang lange nichts wissen wollte. Aber für Sie gab es eine entlarvende Szene.
Das war im Dezember 2015 – es gab damals bereits Gerüchte, dass er den FC Bayern verlässt. Nach der Pressekonferenz habe ich die Prognose getroffen, dass er in der Tat gehen wird.
Woran haben Sie das festgemacht?
Guardiola sagte, man würde nach dem letzten Saisonspiel in Hannover sprechen. Währenddessen hat er einseitig mit der linken Schulter gezuckt und dabei leicht den Kopf geschüttelt. Das ist eine Inkongruenz zu dem, was er gesagt hat.
Was bedeuten diese Signale denn?
So viel wie: „Ich glaube selbst nicht, was ich gerade sage.“ Es gab auch noch ein anderes Signal, das spannend fürs Lügen generell ist. Lassen Sie uns an den 1. April denken, wenn wir andere an der Nase herumführen wollen. Insbesondere Kinder, die noch denkbar schlecht im Lügen sind. Was da auffällt, ist: Die strahlen über beide Ohren, wenn Sie einem den Bären aufbinden wollen. Auch bei Guardiola gab es eine kurze Mikroexpression von Freude, die Augen haben gelacht. Die Freude, jemanden an der Nase herumzuführen, ist auch ein klassisches Signal.
Dirk Eilert ist Experte für Körpersprache und emotionale Intelligenz und hat bereits mehrere Bücher dazu verfasst. Sein aktuelles heißt: „Körpersprache entschlüsseln und verstehen – die Mimikresonanz-Profibox“, in der mehr als 130 nonverbale Signale in Mimik, Gestik, Körperhaltung, Stimme und Sprechstil analysiert werden. Seit 2001 leitet er in Berlin die von ihm gegründete Eilert-Akademie.